Hallo liebe Karla, wir freuen uns über deine kürzlich erschienene Graphic Novel Ratten. Danke, dass du dir die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Magst du uns als Erstes erzählen, wie du an deine Arbeit herangehst? Wie gehst du beim Zeichnen und Erzählen deiner Geschichten vor?
Zunächst einmal möchte ich über die Comics sprechen, die ich für Ratten gezeichnet habe. Ich habe sie alle als Skizzen vorgezeichnet. Das war eines der ersten Dinge, die ich tat, als ich vor etwa 7 Jahren mit dem Zeichnen von Comics begann. Sie sind alle sehr spontan entstanden, ohne die Absicht, sie jemals zu veröffentlichen. Ich habe sie hauptsächlich für mich selbst gezeichnet, als eine Art Selbsttherapie, und um sie mit meinen Freunden zu teilen und zu lachen. Die erste Story, die ich gezeichnet habe, war Rattenhoden. Der Großteil der Geschichte entstand, als ich mit einem Kater im Bett lag, das war am Tag nach einem Besuch im Laden von Magic Pablo. Verbranntes Fleisch wurde hauptsächlich gemeinsam mit Herle erfunden, der Tochter meines Freundes, die auch als Figur in dem Comic auftaucht. Es war ihre Idee, dass sie von einem Hundefurz vergiftet wird und im Krankenhaus landen sollte. Der ganze sexuelle Inhalt war natürlich meine Idee.
Danach habe ich die Geschichten etwa dreimal neu gezeichnet, bis ich das Gefühl hatte, einen „richtigen“ Stil gefunden zu haben. Anfangs habe ich die Storys einzeln als Zines veröffentlicht. Später habe ich sie in einem Buch zusammengefasst.
Ich erstelle meine Comics immer noch spontan, vielleicht nicht mehr so sehr wie am Anfang, da ich jetzt, nach mehr Erfahrung mit Comics, natürlich bewusster bin, was ich tue. Allerdings versuche ich wirklich, nicht zu viel zu planen; jedes Mal, wenn ich es tue, wird es einfach schlecht. Die meisten meiner Ideen kommen mir, während ich mit meinem Hund Lilsky spazieren gehe, dabei stelle ich mir lustige Dialoge im Kopf vor und schreibe sie dann auf meinem Handy auf.
Ich plane nie speziell im Voraus. Ich lasse die Geschichten lieber natürlich entstehen, während ich zeichne. Es geht eher darum, dem Impuls des Moments zu folgen und die Ideen kommen zu lassen, statt ein bestimmtes Thema oder eine Struktur zu erzwingen. Ich habe viel Spaß beim Zeichnen, und das ist mir sehr wichtig. Ich denke, das zeigt sich auch in den Comics, dass Humor natürlich eines der Elemente ist, das die Geschichten zusammenhält. Ich bin auch nicht besonders daran interessiert, Farben zu verwenden oder schöne Layouts für die Seite zu erstellen. Für mich sind der Dialog und die Geschichte das, was am wichtigsten ist. Deshalb habe ich mich auch entschieden, beim Format von 6 Frames pro Seite zu bleiben, es ist einfacher für mich.
Die Storys aus Ratten spielen größtenteils in Berlin, wo du auch selber lebst. Gab es etwas an der Berliner Comicszene, das dich interessiert hat oder dazu bewogen hat, hierherzuziehen?
Als ich nach Berlin zog, war ich keine Comiczeichnerin, ich hatte eigentlich überhaupt kein Interesse an Comics. Ich habe viele Jahre hier gelebt, ohne etwas über die Comicszene zu wissen. Mit dem Zeichnen von Comics habe ich erst relativ spät begonnen, da war ich schon 34 Jahre alt. Davor habe ich gemalt und einige Zines gemacht. Dann habe ich zufällig einen Comiczeichner geheiratet, er hat mir eine Gehirnwäsche verpasst, und jetzt bin ich besessen davon, Comics zu zeichnen. Ich finde, Berlin hat eine wirklich interessante und vielfältige Comicszene. Als ich anfing, Comics zu zeichnen, war ich sehr aktiv in der Zine-Community und habe auch einige Jahre lang das „Hungry Eyes Zinefest“ mitorganisiert. In letzter Zeit bin ich viel gereist und habe mehr Kontakt zu Menschen an anderen Orten gehabt, würde ich sagen.
Gibt es andere Comicautor*innen aus der Underground-Comicszene, die dich inspirieren in deiner Arbeit? Ich denke da zum Beispiel an Julie Doucet.
Ja, Julie Doucet war definitiv ein großer Einfluss für mich! Sie und Aline Kominsky-Crumb waren die beiden wichtigsten Figuren. Ich habe zuerst Alines Werke entdeckt, und ihre Comics zu lesen war einer der Hauptgründe, warum ich selbst angefangen habe, Comics zu zeichnen. Sie war eine Pionierin der autobiografischen feministischen Underground-Comics. Ihre Werke brachen mit den traditionellen Comic-Konventionen. Die Art, wie sie Comics zeichnete, war sehr wild und roh und unprätentiös – das war für mich unglaublich inspirierend. Es hat mich dazu ermutigt, mit dem Comiczeichnen anzufangen. Ich hatte das Gefühl, dass ich es auch tun kann, obwohl ich keine besonderen Fähigkeiten oder Kenntnisse über Comics hatte.
Im letzten Jahr hast du die Anthologie HAIRSPRAY MAGAZINE herausgebracht. Magst du uns ein wenig darüber erzählen, worum genau handelt es sich dabei?
Die Idee, das Hairspray Magazine zu starten, entstand, weil ich an mehreren Comic-Anthologien mitgearbeitet hatte, in denen weibliche Künstlerinnen oft unterrepräsentiert waren, und das wollte ich ändern. Gleichzeitig bin ich in den letzten Jahren viel gereist und habe an verschiedenen Underground-Comicfestivals in Europa teilgenommen, bei denen ich viele unglaublich talentierte Comic-Künstlerinnen getroffen habe. Die meisten der Künstlerinnen aus der ersten Ausgabe von Hairspray folge und bewundere ich schon lange. Mein Traum war es, ihre Geschichten in einer Anthologie zu sammeln, da ich das Gefühl hatte, dass ihre Arbeiten nicht die Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhielten, die sie verdienten. Ich wollte eine Plattform schaffen, auf der ihre Arbeit mehr Sichtbarkeit erhält. Meine Intention, mit Hairspray ist es auch unsere internationale Comic-Community zu stärken und zu organisieren, damit wir uns gegenseitig unterstützen und in unseren kreativen Projekten inspirieren können. Für mich ist die schönste Entwicklung während des Prozesses der Erstellung des Hairspray Magazine die dabei entstandenen Freundschaften.
Das Hairspray Magazine hat in Angoulême den Award für den besten alternativen Comic verliehen bekommen. Was denkst du, warum habt ihr damit den Nerv der Zeit getroffen?
Ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass es den Nerv der Zeit trifft. Ich denke eher, dass die Stärke aller Mitwirkenden darin liegt, dass ihre Arbeiten nicht versuchen, den aktuellen Trends im Comic zu folgen oder ähnlichem. Alle Künstlerinnen haben so einen starken individuellen Ausdruck, und ihre Comics sind für mich zeitlos. Die Art, wie sie ihre Geschichten erzählen, ist mutig und authentisch. Ich denke, sie sind einfach sehr
talentierte Künstlerinnen – zumindest aus meiner Sicht, deshalb wollte ich ihre Arbeiten zusammenbringen. Ich war nicht in Angoulême, aber jemand aus der Jury hat mich ein paar Tage später angerufen, um mir mitzuteilen, dass wir gewonnen haben. Die Begründung war, dass jeder einzelne Comic in der Anthologie von sehr hoher Qualität ist.
Du lässt in deinen Geschichten Autobiografisches und Fiktives ineinanderfließen. Hast du das Gefühl, dass du dich damit auch verletzlich zeigst?
Ich bekomme oft gesagt, dass ich mutig sei, weil ich es wage, etwas so Ehrliches oder Persönliches zu zeichnen. Natürlich gibt es in den Geschichten einige sehr reale Gefühle und Elemente, die auf realen Situationen beruhen, aber ich sehe das Buch als eine stark karikierte Version der Realität. Ich glaube nicht, dass ich wirklich viel von mir preisgebe; ich bin ein ziemlich privater Mensch. Die Tatsache, dass die Leser*innen nicht wissen, was Fiktion und was Realität ist und dass sie es nie herausfinden werden, empfinde ich als eine Art Schutz. Was im Endeffekt auch irrelevant ist. Es geht auch nicht wirklich um mich, ich benutze mich nur als Protagonistin, um die Geschichten zu erzählen. Die Themen sind universell und daher für viele Menschen nachvollziehbar.
Zuletzt, sag uns gerne noch, ob du aktuell an einem neuen Projekt arbeitest, auf das man sich in Zukunft freuen kann?
Im Moment arbeite ich an meinem nächsten Buch, das die Fortsetzung von Anti Baby, einer der drei
Geschichten aus Ratten, sein wird. In diesem Buch bringe ich einen Hybriden zur Welt, der halb Mensch und halb Hund ist, was mir eine sehr seltsame Mutterschaftserfahrung beschert. Außerdem arbeite ich an der nächsten Ausgabe von Hairspray, in der dieses Mal 12 sehr unterschiedliche Künstlerinnen auftreten werden. Darauf bin ich sehr gespannt! Die Veröffentlichung wird auf dem Festival von Angoulême im Januar 2026 stattfinden.
Vielen Dank für dieses Gespräch.
Ratten ist hier erhältlich!