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Grün | Interview mit Marion Besançon

Hallo Marion, danke, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns über „Grün“ zu sprechen. Zunächst einmal die Frage: Wie kam die Zusammenarbeit mit Patrick Lacan zustande? Kanntet ihr euch bereits im Vorfeld persönlich, oder war es eher ein zufälliges Aufeinandertreffen durch das gemeinsame Interesse an diesem Stoff? 

 

Patrick ist während meines Studiums auf meine Arbeiten gestoßen, als ich regelmäßig Beiträge für ein Fanzine machte. Er hat mich daraufhin kontaktiert und vorgeschlagen, einige seiner Kurzgeschichten als kurze Comics umzusetzen. Sein Schreibstil hat mir sofort gefallen, und wir haben angefangen, gemeinsam an diesen Geschichten zu arbeiten – eine davon war die Vorgeschichte von Grün. Diese haben wir später intensiv überarbeitet, und daraus ist die Graphic Novel entstanden.

 

Die Geschichte von „Grün“ basiert auf einer Vorlage von Patrick. Inwiefern habt ihr diese ursprüngliche Geschichte für die Comicfassung verändert oder weiterentwickelt? Hast du beim Erzählen neue Aspekte hinzugefügt, die in der ursprünglichen Fassung vielleicht noch nicht enthalten waren?

 

Patrick hatte das Grundkonzept der Geschichte bereits vollständig im Kopf – mit einem Ablauf, der sich über vier Jahreszeiten erstreckt. Danach entwickelte er die verschiedenen Figuren passend zu den Themen, die er behandeln wollte. Die Szenen schrieb er wie in einem Roman, Textstück für Textstück, und ließ mich direkt daran mitschreiben. So konnte ich bestimmte Handlungsübergänge feiner gestalten oder einzelne Emotionen anders gewichten. Inhaltlich habe ich zum Beispiel vorgeschlagen, die Verwandlungen ausschließlich auf Bäume zu beschränken – aus praktischen und ästhetischen Gründen. Ich durfte auch das Geschlecht einer gegenspielenden Figur ändern, um mehr Vielfalt unter den weiblichen Charakteren zu schaffen. Wir haben in dieser Phase wirklich gemeinsam Hand in Hand gearbeitet, und Patrick hat mir dabei viel Freiraum zur Interpretation gelassen – ein großes Geschenk, das für mich sehr bereichernd war.

 

 

Gab es einen bestimmten Auslöser oder einen persönlichen Moment, der den Wunsch geweckt hat, Grün als Graphic Novel zu erzählen?

 

Als Grün noch eine Kurzgeschichte war, bekamen wir Rückmeldung von einem Verlag zu der gesamten Sammlung. Die Geschichte von Grün hatte einen besonders starken Eindruck hinterlassen, und man riet uns, daraus ein längeres Format zu machen. Erst in diesem Moment begann ich mir vorzustellen, dass Grün wirklich Realität werden könnte. Als Patrick und ich dann die Geschichte weiterentwickelten, wurde uns klar, dass wir tatsächlich dabei waren, eine Graphic Novel zu schreiben.

 

Haben bestimmte Filme, Bücher oder andere Comics dich während der Arbeit am Buch inspiriert? Gab es erzählerische oder visuelle Vorbilder, an denen du dich bewusst orientiert hast?

 

Ich erinnere mich nicht daran, für dieses Projekt bewusst bestimmte künstlerische Referenzen verwendet zu haben. Allerdings weiß ich noch, dass ich Die Wurzeln des Lebens von Richard Powers gelesen habe – dieses Buch hat mich stark bei der Erzählstruktur inspiriert. Ansonsten habe ich viel Lebendiges in meiner Umgebung beobachtet. Zum Beispiel stammen die Muster auf der Haut der Figuren, die sich langsam in Pflanzen verwandeln, direkt von einer Baumrinde, die ich als Inspiration immer in meiner Nähe hatte.

 

 

Auch mit Blick auf den Zeichenstil, der an japanische Mangas erinnert – war das eine bewusste Entscheidung, oder hat sich dieser Stil im Laufe deiner zeichnerischen Entwicklung einfach natürlich ergeben?

 

Ich bin mit Comics ebenso wie mit Manga aufgewachsen – deshalb hat sich der Manga ganz natürlich in meine Arbeit integriert. Tatsächlich war es sogar der Manga, der mir die Freude an der Erzählkunst vermittelt hat, vor allem wegen der vielfältigen Rhythmuswechsel, die dieses Format erlaubt. Auch wenn das nie eine bewusste Entscheidung war, hat mich ein Mangaka wie Daisuke Igarashi stark geprägt, und ich denke, man spürt seinen Einfluss deutlich in Grün.

 

Wie bist du an das Design der „Pflanzenmenschen“ herangegangen? Gab es botanische oder visuelle Vorbilder, oder ist das ganz aus deiner eigenen Vorstellungskraft entstanden?

 

Beim Arbeiten an der Metamorphose ging es vor allem darum, sie nicht zu beängstigend wirken zu lassen. Sie sollte zum Ton der Erzählung passen, der nicht ins Horrorhafte abgleitet. Deshalb habe ich mit weichen, runden Formen gearbeitet und darauf geachtet, dass sie nicht bedrohlich wirken. Inspiration habe ich auch aus Hautproblemen gezogen, die ein Gesicht prägen können. Da ich selbst davon betroffen war, war es fast eine kathartische Erfahrung, diese durch Knospen zu ersetzen. Der Rest kam durch intensive Beobachtung der Pflanzenwelt.

 

Die Geschichte greift sehr aktuelle Themen auf – etwa den Klimawandel, soziale Isolation oder gesellschaftliche Radikalisierung. Entstand das Projekt vor dem Hintergrund konkreter Ereignisse?

 

Patrick hat diese Geschichte vor über zehn Jahren geträumt – sie hat also einen sehr traumhaften Ursprung. Wir haben sie während der Corona-Krise als Langformat entwickelt, was die Erzählung vielleicht unbewusst beeinflusst hat. Aber insgesamt ist die Geschichte vor allem aus unserer beider persönlicher Sensibilität heraus entstanden. Die Fragen, die im Buch gestellt werden, sind Fragen, die uns persönlich beschäftigen – unabhängig von einem konkreten Ereignis.

 

Und zuletzt noch die Frage: Ist bereits ein neues Projekt in Planung – vielleicht sogar erneut in Zusammenarbeit mit Patrick Lacan? Gibt es Themen, die dich zurzeit besonders interessieren und die du gern in einer zukünftigen Arbeit aufgreifen würdest?

 

Zurzeit arbeite ich an zwei Projekten – eines allein, das andere gemeinsam mit einer anderen Szenaristin. Patrick und ich würden sehr gerne wieder zusammenarbeiten, aber vorher habe ich das starke Bedürfnis, erst einmal allein zu arbeiten. Mein ursprünglicher Wunsch war es, als Autorin komplett eigenständig zu sein, denn es gibt viele Geschichten, die ich erzählen möchte. Themen wie Identität und unser Verhältnis zur Welt sind für mich besonders zentral. Ich habe auch große Lust, unterschiedliche Welten zu erschaffen und Neues auszuprobieren. Sowohl die Geschichten selbst als auch ihre Form möchte ich möglichst vielseitig gestalten – denn genau diese künstlerische Vielfalt ist es, die mich antreibt.

 

Vielen Dank, dass du mit uns über „Grün“ gesprochen hast!